Interview mit Joe Abercrombie
Literatopia: Hallo Joe, danke, dass du dir die Zeit genommen hast, uns ein paar Fragen zu beantworten. Erzähl uns doch ein bisschen etwas über dich selbst – wer bist du und welche Art von Büchern schreibst du?
Joe Abercrombie: Ich bin 34 Jahre alt, habe zwei Töchter, bin welterfahren und verwegen gutaussehend. Ich war einmal – und bin es hin und wieder noch – ein Videoeditor (hauptsächlich Dokumentationen und Livemusik). Ich würde meine Bücher wohl als Unheroische Fantasy beschreiben. So etwas Ähnliches wie „Herr der Ringe trifft LA Confidential“, mit einer Prise schwarzen Humors.
Literatopia: Im Juni (in Deutschland im September) erscheint dein neues Buch Racheklingen. Was erwartet deine Leser? Werden sie alte Bekannte treffen oder bringst du völlig neue Charaktere ein?
Joe Abercrombie: Von Beidem ein bisschen. Racheklingen ist ein eigenständiges Buch, das in derselben Welt angesiedelt ist, wie die First Law Trilogie, allerdings in einem anderen Teil davon, und hat ein paar neue Figuren zu bieten, ein paar Nebencharaktere der Trilogie in wichtigeren Rollen und ein paar bekannte Gesichter im Hintergrund. Es schließt teilweise an das an, was in der Trilogie offen gelassen wurde, ist aber an sich eine unabhängige Geschichte. Die Idee dahinter war, etwas zu schreiben, das für sich als eine Einführung gelesen werden kann, oder im Anschluss an die Trilogie als eine Fortführung des Lebens der Welt. Hoffentlich kann es diese Aufgaben erfüllen und scheitert nicht an beiden…
Literatopia: Die First Law Trilogie ist von männlichen Figuren dominiert. Hat es dir da Spaß gemacht, im nächsten Buch mit Monzcarro Mercatto eine weibliche Hauptperson einzubringen oder war das etwas, auf das du dich nicht sonderlich gefreut hast?
Joe Abercrombie: Es war sicherlich eine kleinere Herausforderung, wenn auch nur, weil die weiblichen Protagonisten eines männlichen Autors immer kritischeren Blicken unterzogen werden, als seine männlichen Charaktere. Und obwohl die Herangehensweise grundsätzlich die Selbe ist, wie bei männlichen Figuren – sie so vielseitig, interessant, lustig, überraschend und lebensecht zu machen, wie ich kann – wird es immer einige Aspekte des Weiblichseins geben, bei denen man als Mann nur raten kann. Außerdem habe ich zwar viel Erfahrung damit, wie sich Männer in Gruppen verhalten, wenn keine Frauen dabei sind, aber weniger, wie sich umgekehrt Frauen in Gruppen verhalten. Das alles kann einen schon verunsichern, lässt einen im Nachhinein an sich zweifeln, mehr, als wenn man eine Figur entwirft, die das gleiche Geschlecht wie man selbst hat. Monza war besonders problematisch, weil sie ja eigentlich die Hauptfigur von Racheklingen ist und dabei einen großen Teil der Geschichte trägt. Die First Law Trilogie war eher ein Ensemblestück mit mehreren Hauptfiguren. Also hat es eine Weile gedauert, bis ich wirklich ein konkretes Bild davon hatte, wer sie ist. Erst, als ich den ersten Entwurf des Buches fertig hatte, habe ich begonnen, mit ihrem Charakter und der Art, in der ich ihn geschrieben hatte, zufrieden zu sein. Dann hieß es, alles zu überarbeiten, was ich mit ihr am Anfang geschrieben hatte, um auch da dem Gesamtkonzept der Figur zu entsprechen.
Literatopia: Monzcarro Mercatto und ihr Rachefeldzug lassen unwillkürlich an Ferro (First Law Trilogie) denken. Haben diese zwei Figuren denn mehr gemeinsam, als ihre Beweggründe?
Joe Abercrombie: Sie sind sicherlich beide harte und ziemlich skrupellose Frauen, die ausschließlich ihre Rache im Kopf und ein ziemlich schweres Leben hinter sich haben. Ferro bleibt allerdings an der Peripherie. Wir lernen sie nicht so gut kennen und was wir doch erfahren ist durchgehend hart und undurchdringlich. Monza hat eine viel zentralere Rolle und ist dadurch viel komplexer. Sie hat ein bisschen mehr menschliche Schwäche an sich.
Literatopia: Die Erwartungen an Racheklingen sind hoch. Inwiefern beeinflusst dich das? Bedeutet das mehr Druck oder spornt dich das zu Höchstleistungen an?
Joe Abercrombie: Ich finde, das bedeutet eindeutig mehr Druck. Es liegen Welten dazwischen, ein Buch als ein Hobby, auf deine Weise zu schreiben und dir dabei so viel Zeit zu lassen, wie du willst, und sich plötzlich ein Konzept und Charaktere einfallen lassen zu müssen und alles in einem bestimmten Zeitrahmen zu realisieren. Für mich war Racheklingen um Einiges schwieriger zu schreiben als die Trilogie, die ich ja seit meiner Teenagerzeit in Gedanken mit mir herumgetragen und entwickelt habe. Ich bin aber sehr glücklich mit dem Resultat, letztendlich, auch, wenn der Arbeitsprozess hart war.
Literatopia: Einer der Gründe, warum deine Leser so gespannt auf Racheklingen warten, ist dein außergewöhnlicher erster Roman Kriegsklingen. Warum glaubst du war dieses Buch so erfolgreich? Reiner Zufall oder doch etwas Anderes?
Joe Abercrombie: Naja, das erste Buch hat sich gut verkauft, als es veröffentlicht wurde, aber ich würde nicht sagen, dass es sofort ein Verkaufsschlager war. Aber mit jedem neuen Buch scheint die gesamte Serie sich besser und besser verkauft zu haben. Ich habe ganz sicher viel Glück mit meinem Verlag in Großbritannien, der das Buch von Anfang an unterstützt und der Serie viel Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit verschafft hat. Es ist auch sicherlich hilfreich, dass die Serie eine Trilogie ist, die innerhalb eines relativ knappen Zeitraumes herausgekommen ist und auf eine Art abgeschlossen wurde, die nicht allzu viele Leute enttäuscht hat. Ansonsten denke ich, kommt der Erfolg einfach von der grundlegenden Brillanz meines Werkes. Ich mach natürlich Witze.
Oder vielleicht doch nicht?
Literatopia: Du hast schon während deiner Studienzeit begonnen, an Entwürfen zu Kriegsklingen zu schreiben, hast aber dann die Arbeit daran abgebrochen und sie erst 2002 wieder aufgenommen. Was war der Grund für diese Unterbrechung? War sie wichtig für die Qualität des Buches?
Joe Abercrombie: Ich habe mit 20 versucht, einige meiner Ideen näher auszuführen, hauptsächlich, um mich im Blindschreiben zu üben, in der Hoffnung, dadurch am Arbeitsmarkt attraktiver zu werden. Unter uns (und euren Lesern) gesagt, es war eher Mist. Die selben Ereignisse, wie am Beginn des veröffentlichten Buches, aber ohne den bestimmten Tonfall, der das Ganze interessant macht. Es hatte keinen Sinn für Humor. Es hatte keinen Charakter. Es hat mich nicht sonderlich begeistert, also bezweifle ich stark, ob es irgendjemand anderen begeistert hätte. Als ich die Arbeit daran wieder angefangen habe, war ich … 28? Ich hatte viel mehr Lebenserfahrung, war um Einiges belesener, und vor allem hatte ich gelernt, mich selbst (und vielleicht Fantasy als Genre) um Vieles weniger ernst zu nehmen. Das Resultat war sofort viel besser (zumindest für meinen Geschmack). Also, ja, die Pause war absolut wichtig. Ohne sie wären die Bücher niemals entstanden, und wenn sie denn entstanden wären, wären sie Mist gewesen.
Literatopia: Mit der First Law Trilogie hast du etwas gänzlich Andersartiges geschaffen. Hast du unterm Schreiben jemals Angst gehabt, nicht den Ansprüchen des Marktes zu entsprechen, indem du eben keine High Fantasy produziert hast?
Joe Abercrombie: Ich habe nur zu meiner eigenen Unterhaltung zu schreiben begonnen, ohne dabei an irgendwelche Vorlieben abseits meiner eigenen zu denken. Erst, als ich einen Entwurf des ersten Buches fertig hatte und versuchte, es zu verkaufen, es an Agenten schickte und Absage nach Absage kassierte, begann ich mir Sorgen zu machen, dass das Buch zu unverkäuflich war. Zu anstößig, zu brutal, zu viele Schimpfworte, eine zu ungewöhnliche Mischung aus düsterem und witzigem Tonfall. Aber ich glaube, der allgemeine literarische Geschmack hat sich in den letzten zehn Jahren oder so sehr verbreitert und mich dadurch in einem ziemlich kommerziellen Bereich zurückgelassen. Was schön ist.
Das Schreiben
Literatopia: Die Cover der deutschen Erstausgaben sind um Einiges einfacher gehalten als die der englischen Originale. Inwieweit hast du ein Mitspracherecht bei der Gestaltung der Buchumschläge? Bist du allgemein mit den Motiven zufrieden oder gibt es welche, die dir ehrlich nicht gefallen?Joe Abercrombie: Bei den fremdsprachigen Covern habe ich überhaupt kein Mitspracherecht, nicht mal bei der Wahl der Titel, darum ist es immer interessant zu sehen, welche Herangehensweisen sich die unterschiedlichen Verleger für ihre jeweiligen Märkte einfallen lassen. In Deutschland gibt es momentan scheinbar einen sehr ausgeprägten und erfolgreichen Stil für die Cover von epischer Fantasy – einfach gehalten, dunkel, oft mit einer Waffe im Vordergrund und einem kurzen, griffigen Titel, der die gesamte Serie lang immer wieder aufgenommen wird. Die Bücher von Markus Heitz und Bernhard Hennen sehen sich nicht unähnlich und ich nehme an, dass diese Signale die Leser auf die Bücher aufmerksam machen, die sie mögen, was ja so sein soll.
Ganz ehrlich gefallen mir die britischen Cover (bei denen ich ein wenig mitwirken kann, vor allem bei Racheklingen) sehr. Sie geben meinen Büchern ein einzigartiges Aussehen. Es ist schwer, bei den deutschen Covern wirklich enthusiastisch zu werden, weil die viel genretypischer sind. Aber ob ich sie mag oder nicht, künstlerisch, tut eigentlich nichts zur Sache. Vor allem mag ich Cover, die Bücher gut verkaufen. Bücherschreiben ist meine Aufgabe, sie zu verkaufen ist Sache der Verleger und man muss darauf vertrauen, dass die ihren Markt kennen und eine Vorgehensweise entwickeln, die funktioniert. Dem Erfolg nach zu urteilen, den Heyne mit den Büchern in Deutschland hat, kennen die ihren Markt.
Literatopia: Kriegsklingen, Feuerklingen und Königsklingen umfassen insgesamt 2400 Seiten. Woher hast du die Idee für so eine komplexe Serie genommen? Hat dich etwas Bestimmtes inspiriert, wie zum Beispiel ein Buch oder ein Ereignis? Wie hast du es geschafft, so lange bei der Sache zu bleiben und durchzuhalten? Gab es jemals Momente, in denen du gedacht hast „Ich kann das nicht, ich kann nicht mehr“?
Joe Abercrombie: Es ist großteils meine Reaktion auf die klassische epische Fantasy, die ich als Jugendlicher gelesen habe – Herr der Ringe, natürlich, aber auch viele andere Dinge. Ich glaube, man nimmt sich Ideen von allem, was man liest, sieht oder erlebt und mag, oder überhaupt nicht mag. Ich bin von Filmen und vom Fernsehen fast genauso stark beeinflusst, wie von Büchern, und ich lese in letzter Zeit auch viel über Geschichte, also kommen auch einige Ideen von dieser Lektüre.
Zum Dranbleiben; ich habe am Anfang hobbymäßig geschrieben, habe den Prozess sehr genossen und war wirklich zufrieden und überrascht mit dem Ergebnis – es schien ein Eigenleben zu haben. Das hat mich bis zum Ende des ersten Buches gebracht. Ich habe ein bisschen von der Begeisterung verloren, als ich im Jahr nach der Fertigstellung von Kriegsklingen die Absagen der Agenten kassierte, aber ich habe sogar dann weiter am zweiten Buch geschrieben, wenn auch ohne viel Begeisterung und in schleppendem Tempo. Ich habe nie wirklich das Gefühl gehabt, aufgeben zu wollen, obwohl ich zugeben muss, dass ich, als ich knapp davor war, die Trilogie zu beenden, plötzlich von der Erkenntnis überwältigt war, ein bis zwei Bücher im Jahr schreiben zu müssen, bis ans Ende meines Lebens, wenn ich das hier professionell machen wollte… Das ist ein ziemlich entmutigender Gedanke, aber man muss das einfach schrittweise angehen, einen Plan, eine Zeile, eine Szene, ein Kapitel, ein Buch, ein Projekt nach dem anderen.
Literatopia: Wann und wie hast du zu schreiben begonnen? Hast du dich einfach plötzlich hingesetzt und beschlossen, es zu versuchen? Oder war das eine langsamere Entwicklung; hast du Geschichten aufgeschrieben, die du dir ausgedacht hast, um sie festzuhalten und später zu überarbeiten? Wie haben deine ersten Versuche ausgesehen?
Joe Abercrombie: Abgesehen von dem einen erfolglosen Versuch mit zwanzig, mein Fantasymeisterwerk zu schreiben, und ein paar frühen Werken habe ich bis Ende zwanzig nie ernsthaft versucht, zu schreiben. Ich habe das zwar immer tun wollen, gespürt, dass ich es vielleicht kann, aber ich habe hauptsächlich damit begonnen, weil mein Job mir viel Freizeit gelassen hat und manchmal Tage oder Wochen zwischen Aufträgen lagen, und ich gefunden habe, dass ich ein nützlicheres Projekt brauche, als Computerspiele, um mich zu beschäftigen. Ich habe dann wieder versucht, zu schreiben, hab die Ergebnisse sehr interessant gefunden, und so ist das entstanden.
Literatopia: Wie gehst du einen neuen Roman an? Hast du da Notizzettel, Charakterprofile und Plotentwürfe schon sorgfältig ausgeführt oder setzt du dich einfach hin, schreibst und lässt die Geschichte sich so entwickeln, wie es dir gerade in den Sinn kommt?
Joe Abercrombie: Ich plane ziemlich sorgfältig. Insbesondere bin ich mir meistens schon über das Ende einer Geschichte im Klaren, bevor ich anfange. Ohne Plan mit dem Schreiben zu beginnen wäre für mich ein bisschen so, als ob man beginnen würde, ein Haus ohne Vorzeichnungen zu bauen und dabei die Ziegel da aufeinander stapelt, wo sie im Moment ganz gut hinzupassen scheinen – wahrscheinlich mit katastrophalem Ausgang. Ich würde nicht sagen, dass ich Entwürfe mache – wenn ich mit einem Kapitel fertig werde, weicht es meistens nicht stark von dem ab, was ich mir vorstelle, weil ich mir den Tonfall, die Handlung, die es umfassen muss, detailliert überlegt habe. Aber ich mache natürlich noch einige Überarbeitungsdurchgänge, wenn ich mit einem Kapitel, einem Teil, dem Buch fertig bin. Man kann immer alles noch ein bisschen verfeinern.
Literatopia: Fantasy ist dein liebstes Genre. Was ist es, das dich daran so fasziniert? Ist es die Möglichkeit, neue Welten erschaffen und Übersinnliches aufgreifen zu können, oder etwas ganz anderes?
Joe Abercrombie: Das ist eine interessante Frage, weil ich viel interessierter an den realistischen Elementen meiner Geschichten bin, als an den phantastischen. Ich habe nicht sehr viel Magie in meiner Welt, nicht viele exotische Kreaturen oder verrückte Schauplätze. Ich denke, ich bin eher an dem interessiert, was Fantasy mit allen anderen Arten der Literatur gemein hat, als an den Dingen, die das Genre abgrenzen. Was mich vielleicht zu einem seltsamen Fantasyautor macht, keine Ahnung. Trotzdem gibt dir Fantasy die Freiheit, Figuren, Ereignisse und Orte ein wenig zu überzeichnen und ich mag diesen Aspekt davon. Du kannst verwenden, was auch immer die Geschichte am dramatischsten macht, was dir stimmig und effektiv vorkommt, ohne sklavischen Nachforschungen, wie es wirklich wäre.
Literatopia: Gibt es eine Interviewfrage, auf die du seit Jahren wartest, ohne, dass sie je gestellt wurde, eine, die du einmal gestellt bekommen möchtest? Wenn ja, welche ist es? Würdest du sie uns auch gleich beantworten?
Joe Abercrombie: Möchten Sie, dass wir Ihnen fünf Millionen Pfund geben, jetzt, steuerfrei?
Ja, ja möchte ich.
Literatopia: Auf deiner Homepage blogst du über dich und deine Bücher. Wie wichtig ist es für dich, mit deinen Lesern in Kontakt zu bleiben? Stehst du gerne im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit oder ist das etwas, bei dem du dich nicht sehr wohl fühlst?
Joe Abercrombie: Schreiben kann manchmal ein ziemlich einsames Gewerbe sein, also bin ich immer sehr fasziniert von Allem, was ein Leser über meine Bücher sagt und ich genieße den Kontakt, den ich durch den Blog habe. Bücher signieren und so weiter – ich kann nicht sagen, dass ich das nicht genieße. Falls auch jemand auftaucht, natürlich.
Literatopia: Du hast als Psychologe angefangen, bist ein Drehbuchautor geworden und schlussendlich ein Autor – wie kam das? Was hat dich auf die Idee gebracht, dich am Drehbuchschreiben zu versuchen?
Joe Abercrombie: Nicht ganz. Ich habe zwar einen Abschluss in Psychologie, habe aber nie praktiziert, dann habe ich ein paar Monate lang Tee gekocht in der TV-Industrie, bin Redaktionsassistent geworden und schlussendlich freischaffender Videoeditor, wobei ich hauptsächlich mit Livemusik und Dokumentationen gearbeitet habe, was ich zehn Jahre oder so gemacht habe. Ich habe nie Drehbücher geschrieben, obwohl ich daran beteiligt war, Skripts für Dokumentationen zu schreiben, was eine wichtige Erfahrung war, denke ich. Wenn man da Experten bei der Arbeit zusieht, bekommt man einen Einblick, wie man Dinge auf die wichtigsten Worte reduziert. Genau deshalb schreibe ich riesige Türstopperromane…
Literatopia: Glaubst du, dass man als Drehbuchautor Vorteile beim Entwickeln einer packenden Geschichte hat? Würdest du sagen, dass deine Erfahrungen mit Psychologie und Drehbuchschreiben verantwortlich für deinen Erfolg als Autor sind?
Joe Abercrombie: Da würde ich euch auf die letzte Antwort verweisen. Drehbuchschreiben nicht so sehr, aber die Erfahrung beim Editieren ist bisher sicher nützlich gewesen. Für den Erfolg verantwortlich? Vielleicht ein kleines bisschen, aber sicher nicht ausschließlich. Aber ein paar wichtige Dinge, die die Arbeit als Videoeditor dich lehrt, von irgendwelchen technischen Fähigkeiten abgesehen, sind, als Teil eines Teams zu arbeiten, nicht so viel Wert auf jedes kleine Detail zu legen, und mit der Person klar zu kommen, die im Sessel neben dir sitzt. Alles Dinge, von denen es nur gut sein kann, sie als Autor zu können.
Literatopia: Was hältst du von Creative Writing Kursen, wie sie an manchen englischsprachigen Universitäten und Colleges angeboten werden? Findest du sie nützlich oder Zeitverschwendung?
Joe Abercrombie: Sehr schwer zu sagen, da ich nie einen solchen Kurs gemacht habe und ich nicht genau weiß, was die dort lehren oder was mit einbezogen wird. So gesehen ist es offensichtlich nicht unbedingt erforderlich, einen Creative Writing Kurs zu besuchen, um ein Autor zu werden. Ich denke, der Nutzen wird immer unterschiedlich sein, bezogen darauf, ob sie deine Schreibweise verbessern oder dir Möglichkeiten zur Publikation geben. Ich kenne einige Kurse, die eine sehr gute Bilanz haben, was das Hervorgehen erfolgreicher Autoren angeht.
Zukunft
Literatopia: Was können deine Leser von dir in Zukunft erwarten? Wirst du bei Fantasy bleiben oder auch mal etwas Neues ausprobieren? Und die wichtigste Frage: Werden wir Glokta, Logan und Bayaz jemals wieder sehen?
Joe Abercrombie: Ich möchte nicht ausschließen, auch mal in anderen Genres zu schreiben, aber im Moment bin ich sehr zufrieden mit Fantasy und mit der Welt und den Figuren, mit denen ich bereits arbeite. Mir gefällt die Vorstellung von Büchern, die sich auf eine größere Welt und übergreifendere Themen beziehen, aber auch einzeln gelesen werden können, in denen Figuren, die wir vorher nur flüchtig gekannt haben, in den Vordergrund gestellt werden, so dass wir wirklich sehen können, was sie bewegt, während andere, die wir gut kennen, im Hintergrund bleiben. Ich werde wahrscheinlich mindestens drei eigenständige Bücher schreiben, bevor ich vielleicht wieder daran denke, eine weitere Trilogie zu schreiben. Was Glokta, Logen und Bayaz betrifft, wage ich zu behaupten, dass sie in Zukunft vielleicht hie und da auftauchen werden. Ob sie noch einmal Hauptfiguren sein werden, kann ich nicht sagen. Ich würde nie etwas ausschließen, das vielleicht meine Bücher verkauft…
Leserfragen
Leserfrage: Glokta ist eine sehr herausragende Figur. Es ist oft der Fall, dass die lustigsten und skurrilsten Charaktere, die die größte Aufmerksamkeit des Autors bekommen haben, auch einige autobiographische Züge haben. Wie viel Abercrombie steckt in Glokta? Oder gibt es einen ganz anderen Protagonisten, der dir noch näher kommt?
Joe Abercrombie: Ich denke, in allen Figuren steckt ein ziemliches bisschen Abercrombie, da ja alles, was sie sagen und denken, auf die eine oder andere Weise von mir ausgeht. Ich denke, sie stellen alle eine andere Seite von mir dar, natürlich sehr übertrieben. Was irgendwie ein etwas beunruhigender Gedanke ist. Aber durch der Art, wie seine Figur geschrieben ist – seine Gedanken in kursiv – kommen wir besonders nahe an Gloktas Denkprozesse heran, also denke ich, dass man durch ihn ganz besonders nahe an mich herankommt.
Das ist ein wirklich beunruhigender Gedanke…
Leserfrage: Wie lautete die Kernaussage der Kritik, die dich bisher am meisten geärgert hat?
Joe Abercrombie: Jede Besprechung, die nicht kriecherisch positiv ist, ist unerträglich für mich. Aber ich denke, Kritik ärgert einen nur dann richtig, wenn man weiß, dass sie ein ganz kleines bisschen wahr ist.
Leserfrage: Wie bist du darauf gekommen, einem verkrüppelten Folterknecht eine tragende Rolle zukommen zu lassen? War das plötzliche Inspiration oder geheime Affinität?
Joe Abercrombie: Da ist nichts Geheimes an meiner Affinität. Glokta denkt von allen Figuren am meisten so wie ich. Aber in gewisser Weise war es plötzliche Eingebung – er war der letzte Protagonist, der in meinem Kopf Gestalt angenommen hat und ist recht schnell aufgetaucht. Er war nicht einmal in der Originalfassung des Buches, die ich mit 20 geschrieben habe. Die anderen Figuren habe ich alle über lange Jahre auf verschiedene Art mit mir herumgetragen und weiterentwickelt, in einigen Fällen seit meiner Kindheit. Also denke ich, man kann sagen, Glokta ist die reiftse Schöpfung in der Besetzung.
Leserfrage: Hast du ein Vorbild? Welche Art von Büchern und von welchen Autoren liest du gerne?
Joe Abercrombie: Ich würde nicht sagen, dass ich beim Schreiben ein wirkliches Vorbild habe. Ich mag alle Bücher, die augenscheinlich ehrlich und wahrheitsgetreu sind, die etwas Aufrichtiges über Leute zu sagen haben. Die offenbar aus echter Erfahrung heraus geschrieben sind und nicht nur die selben alten Klischees breittreten. Das meiste von dem, was ich in letzter Zeit lese, ist Verschiedenes aus der Geschichte. Non-Fiction, großteils. Das echte Leben ist of bei weitem bizarrer als die seltsamsten Phantasien.
Leserfrage: Woher stammt der Name Abercrombie? Denkst du, dass er ein passender Name für einen Fantasyautor ist? Ist es vielleicht ein Pseudonym, das eine spezielle Bedeutung für dich hat?
Joe Abercrombie: Er kommt ursprünglich aus Schottland und bedeutet, glaube ich, „Mündung des gekrümmten Flusses“. Passender Name für einen Fantasyautor? Keine Ahnung, eigentlich, es ist der Name, mit dem ich geboren wurde. Ich wurde dazu angeregt, ein kürzeres, eingängigeres Pseudonym auszusuchen, das vielleicht leichter auf ein Cover passt, aber ich habe beschlossen, bei meinem eigenen Namen zu bleiben. Alles andere wäre mir ein bisschen seltsam vorgekommen…
Leserfrage: Planst du deine Hauptfiguren bis ins letzte Detail; weißt du alles über sie? Oder lässt du einige Dinge unklar, um selbst mal überrascht zu werden und, wenn nötig, der Geschichte eine andere Richtung geben zu können?
Joe Abercrombie: Normalerweise habe ich die Rolle einer jeden Figur in der Geschichte schon sehr sorgfältig geplant, wenn ich zu schreiben beginne; ich habe eine Vorstellung von ihrer Vorgeschichte, ihrem Aussehen, ihrer Persönlichkeit und meiner Herangehensweise an das Schreiben aus ihrer Sicht. Aber natürlich entwickeln sich diese Dinge unterm Arbeiten, oft ganz grundlegend, und ich bin immer bereit, nach einer guten Idee zu greifen, die mir vielleicht mit Glück kommt. Es ist unwahrscheinlich, dass solche Ideen der Geschichte eine radikal andere Richtung geben, aber sie helfen der Geschichte vielleicht überzeugender oder unterhaltsamer der Richtung zu folgen, die ich für sie schon geplant habe.
Literatopia: Vielen Dank für das Interview!
Joe Abercrombie: Mit Vergnügen.
Autorenfoto wurde der Homepage von Joe Abercrombie entnommen. Copyright by Lou Abercrombieenglisches Original-Interview
Dieses Interview wurde von literatopia.de geführt und von Lucia Schwarz übersetzt. Alle Rechte vorbehalten.
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