Thursday, November 5, 2009

Håkan Nesser über das Schreiben und seinen dritten Barbarotti-Roman

Erschienen im Weser Kurier, 18. September 2009 Von Meike Lorenzen (Text) und Sonja Och (Foto) Bremen. Håkan Nesser, Jahrgang 1950, gehört zu den beliebtesten Kriminalautoren Schwedens. In Deutschland haben ihn seine Romane um Kommissar van Veeteren bekannt gemacht. Inzwischen hat der Autor, der mit seiner zweiten Ehefrau in London und auf der Insel Gotland lebt, mit Kommissar Gunnar Barbarotti einen würdigen Nachfolger erschaffen. „Das zweite Leben des Herrn Roos“ ist der dritte Band der neuen Serie und gerade im Münchener btb-Verlag erschienen. Meike Lorenzen sprach mit Håkan Nesser über den schwedischen Krimi, seine beiden Protagonisten und ein mögliches Ende seiner Karriere.

Warum haben Sie aufgehört, von van Veeteren zu schreiben und mit Gunnar Barbarotti einen neuen Kommissar geschaffen?

Håkan Nesser: Ja meine Güte, ich habe nun zehn Bücher über van Veeteren geschrieben. Enough is enough.

Wurde es langweilig mit ihm?

Nein, das wurde es nicht. Aber wenn ich weitergemacht hätte, dann wäre es das geworden. Man kann zehn gute Bücher über van Veeteren schreiben, in denen sich seine Figur entwickelt. Dann sind vielleicht noch drei, vier weitere möglich, um Geld zu verdienen. Aber das wäre ein Fehler. Inwiefern? Weil ich an das glauben muss, was ich selbst schreibe. Darum habe ich aufgehört. Henning Mankell hat nach zehn Jahren Pause wieder einen Wallander-Krimi herausgebracht.

Hat auch van Veeteren irgendwann wieder seine Zeit?

Man soll niemals nie sagen. Aber dann muss man eine Geschichte haben, die passt. Um ehrlich zu sein, denke ich nicht, dass das passiert. Ich glaube nicht einmal, dass ich insgesamt noch mehr als drei oder vier Bücher schreiben werde.

Sie wollen ganz aufhören zu schreiben?

Ja, in vier oder fünf Jahren. Außer mir glaubt da im Moment noch niemand dran.

Wie können Sie sich so sicher sein?

Ich weiß es einfach. Ich habe noch zwei Barbarotti-Bücher, die ich schreiben möchte. Insgesamt werden es fünf. Und dann arbeite ich derzeit an einem London-Buch. Insgesamt habe ich dann 23 Bücher geschrieben. 23? Ich weiß es gar nicht mehr genau. Ich habe übrigens alle Bücher mit dem gleichen Lektor herausgebracht. Wir sind ein Jahrgang und können dann gemeinsam in Rente gehen.

Sie sind mit ihrer Frau erst nach New York gezogen. Nun leben Sie in London. Warum haben Sie Schweden verlassen?

Wir sind nach New York gegangen, weil wir es konnten. Die Kinder waren erwachsen und wir wollten reisen. Wir kannten die Stadt von mehreren Besuchen. Sie ist einfach fantastisch. Der Gedanke war wohl: Now or never. Nach London sind wir gezogen, weil meine Frau dort als Ärztin Arbeit gefunden hat.

Glauben Sie, dass Sie eines Tages wieder nach Schweden ziehen werden?

Oh ja. In London bleiben wir vielleicht noch zwei Jahre. Dann wird es Schweden. Sie scheinen sehr genau zu wissen, was Sie in den nächsten Jahren tun. Ach Quatsch (lacht). Das wird doch nie so kommen. Das sage ich nur so. Wahrscheinlich passiert am Ende etwas ganz anderes. Aber es gibt zumindest einen Plan.

Lassen Sie uns über Gunnar Barbarotti sprechen. Hat die Figur biografische Züge?

Wenn man eine Figur wie Barbarotti oder van Veeteren schreibt, dann passiert das automatisch. Mit all den Gedanken, die Barbarotti durch den Kopf gehen, muss er mir sehr nahe sein. Es wäre seltsam, eine Person zu schaffen, die man nicht wiedererkennt. Wenn Barbarotti zum Beispiel überlegt, ob es einen Gott gibt, dann sind das Gedanken, die ich mir auch mache. Das würde ich deshalb aber noch lange nicht als biografisch bezeichnen. Er ist zehn Jahre jünger als ich und befindet sich in einer ganz anderen Situation.Außerdem ist er Halb-Italiener.

 

Stimmt, das bin ich auch nicht.

Sie haben einmal gesagt, er hätte genauso gut Giuseppe Larsson heißen können.

Stimmt, aber das geht nicht. Den Namen hat Mankell schon einmal in einem seiner Romane verwendet.Sie gelten als einer der philosophischsten unter den nordischen Kriminalautoren. Warum schreiben Sie überhaupt Krimis?

 

Das ist eine gute Frage. Zukünftig werde ich das vielleicht weniger tun. Der neue Barbarotti-Roman ist schon fast kein Kriminalroman mehr.

Haben Sie begonnen, Kriminalromane zu schreiben, weil sie sich besser verkaufen?

Nein, auf keinen Fall. Als ich damit angefangen habe, hatte ich keine Ahnung von Kriminalromanen. Damals gab es nur Henning Mankell und mich. Wir haben etwa gleichzeitig angefangen. Damals gab es diesen Hype noch nicht. Ich mag das Genre. Doch nun werden so viele Krimis geschrieben, dass es ermüdend ist. Die Leute glauben, sie schreiben sich mit der linken Hand.Wie finden Sie die neue Generation schwedischer Autoren?

 

Ich möchte hier nicht namentlich urteilen. Aber es werden zu viele und vor allem zu viele schlechte Krimis geschrieben. Leider ist das so. Natürlich sind auch gute Autoren dabei. Aber auf der anderen Seite kommen aus Schweden mehr schlechte Krimi-Autoren als aus irgendeinem anderen Land, weil die Leute Geld damit verdienen. Im letzten Jahr waren es 75 Bücher, 15 bis 20 von ihnen sind es wert, gelesen zu werden. Man kann nur hoffen, dass es nur die guten Geschichten auch nach Deutschland schaffen.

Trotz allem haben Sie in diesem Genre über mehrere Romane hinweg ihre Protagonisten entwickelt und tun das auch immer noch. Warum?

Die Handlung nimmt in einem Krimi viel Platz ein. Da bleibt nicht viel für den eigentlichen Helden, um sich zu entwickeln. Er bleibt immer nur der Polizist. Sicherlich kann man hier und da ein wenig mehr berichten, doch er bleibt blass. In einer Serie kann ich ihn ausbauen.

Ist das der Grund, warum Krimis bei so vielen Lesern gut ankommen?

Das kann schon sein. Es gibt so immer jemanden, den man wiedererkennt. Jede Literatur baut schließlich darauf, dass der Leser sich auf der einen Seite sicher fühlt und auf der anderen überrascht wird. Bei Kriminalromanen ist das fast natürlich, dass sie so aufgebaut sind. Der Mörder und seine Geschichte sind das Dunkle, Ungewisse und der Kommissar übernimmt den Part, in dem sich der Leser zu Hause fühlt. Barbarotti taucht in „Das zweite Leben des Herrn Roos“ erst sehr spät auf.

Wollen Sie nicht, dass Ihre Leser sich sicher fühlen?

Nein, das muss so sein. Da habe ich nicht drüber nachgedacht, als ich das Buch geschrieben habe. Man hat eine Geschichte und fragt sich immer und immer wieder: „Wie will ich sie erzählen?“ Und dann hat man es. Ich weiß intuitiv, wie die Geschichte am Ende aussehen wird. Und dann denkt man nicht mehr darüber nach. Bis Sie mich fragen.

Schreiben Sie sich eine Struktur?

Nein, das brauche ich nicht. Ich habe im Kopf, was ich erzählen will. Beim Schreiben merke ich dann, ob es funktioniert.

Stimmt es, dass Sie per Hand schreiben?

Ja, zumindest das erste Kapitel. Dann setze ich am Computer Kapitel für Kapitel fort. Ich bin mit Stift und Papier aufgewachsen. Es fühlt sich für mich natürlich an, mit der Hand zu schreiben. Sie schreiben seit zehn Jahren hauptberuflich. Warum haben Sie so spät angefangen? Ich habe immer gelesen, und irgendwann begonnen zu schreiben. Dabei habe ich gemerkt, dass Lesen und Schreiben die gleichen Mechanismen haben. Man begibt sich in eine andere Welt. Nur dass Schreiben noch besser ist. Da kann man die Welt selber schaffen.

Håkan Nesser liest am Samstag bei der „Großen Bremer Krimi-Nacht“ ab 19.30 Uhr in der Shakespeare Company, Leibnizplatz. Mit dabei sind Maj Sjöwall, Chris Marten, Domingo Villar und Jürgen Alberts.

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